Seit Ende 2007 absolviere ich die Weiterbildung zum Prozessfachmann. Nun sind wir langsam aber sicher auf dem Endspurt. Anfangs November werden wir noch die eidgenössische Prüfung schreiben, dann haben wir es überstanden.
In der Multi-Kulti-Klasse hat sich ein sehr grosser Zusammenhalt gebildet und wir verstehen uns super. So kam es, dass wir bereits die bekannten St. Galler Messen, OFFA und OLMA zusammen besuchten oder am Grümpi in Tobel teilnahmen.
Für das zweite August-Wochende war dann ein mehrtägiger Ausflug nach Locarno (TI) gebucht. Unser Klassenchef hat sich um das Organisatorische gekümmert und nebst Jungendherberge auch einen Tandem-Fallschirmsprung gebucht. Da ich eigentlich nicht so der Typ für solche Extrem-Sportarten bin, habe ich zwar zugesagt, aber ohne Sprung.
Am Freitag, 14. August war es dann soweit. Gegen 17.00 Uhr fuhren wir mit einem Kleinbus via Chur über den San Bernardino nach Locarno. Bevor wir unser Zimmer in der Jugendherberge bezogen, besichtigten wir noch das ParaCentro, in welchem meine Klassenkollegen für den Samstag zum Fallschirmspringen angemeldet waren. Nachdem wir die Betten bezogen hatten, zogen wir in das Zentrum von Locarno, um noch etwas zu Essen und das Nachtleben zu geniessen. Der eine oder andere genoss es umso mehr und hatte, als wir gegen 3.00 Uhr zurück kamen, auch keinen  Durst mehr 🙂

In der Nacht auf Samstag verschlechterte sich das Wetter und es regnete in Strömen. Wir dachten bereits, dass der Sprung nicht mehr durchgeführt werden könnte. Gegen 11.00 Uhr zeigte sich die Sonne dann doch noch.
Kurz vor 13.00 Uhr kamen wir dann beim ParaCentro an, wo sich meine Kollegen leicht Nervös zum Sprung einschreiben konnten. Weil ein Schulkollege nicht mitkommen konnte, war noch ein Platz frei. Ich habe mich ganz kurz am Empfang umgeschaut und beschlossen, dass ich nicht springen werde und mich dann zu einem Kollegen gesetzt, der auch nicht springen wollte.
Nach ein paar Minuten kam der Klassenchef aus dem Büro und sagte zu mir: „Gianotti, letzte Möglichkeit, Jetzt oder Nie!“ – Bevor ich weiter darüber sinnierte, nahm ich mein Portemonnaie und ging in das Büro, um die Anmeldung auszufüllen. Jetzt gab es kein zurück mehr…
Als erstes mussten wir einen kleinen Fitnesstest absolvieren. Für eine Strecke von ca. 500m durften  wir nicht mehr als 2 Minuten Zeit haben. Gut, eigentlich kein Problem für mich, und ich muss sagen, durch diese Pulserhöhung auch mein mulmiges Gefühl im Bauch etwas gehemmt wurde.
Als nächstes bekamen wir eine kurze Instruktion, wie wir uns nach dem Sprung im freien Fall verhalten sollten. Dann mussten wir eine gute Stunde warten, bis endlich die ersten von uns ausgerufen wurden. Sie fassten ihre Overalls, Helme und Gurtzeuge und konnten dann das Flugzeug besteigen. Nach rund 20 Minuten sahen wir sie vom Himmel gleiten. In mir stieg die Spannung je länger je mehr an.

Gegen 15.30 Uhr konnte ich dann endlich das Flugzeug besteigen. Da mein Instruktor und ich als letzte springen sollten, mussten wir auch zuerst einsteigen. Mein Partner mit dem Fallschirm setzte sich als erster in den Flieger, dann ich mich vor ihn. Von meinen Klassenkameraden setzte sich einer mit seinem Instruktor neben mich und der andere vis-a-vis vor mir. Vier einzelne Springer aus verschiedenen Orten Italiens quetschten sich auch noch in den engen Flugzeugkörper. Dann setzte sich das Flugzeug in Bewegung. Ein mulmiges Gefühl machte sich in meinem Magen breit. Damit es mir nicht übel wurde, versuchte ich mich immer wieder, mich durch die schöne Aussicht abzulenken. Wir starteten über den Lago Maggiore und schwenkten über die Berge. Die Aussicht war wirklich hervorragend. Trotzdem wurde mir immer mulmiger im Magen. Der Instruktor meines Kollegen erklärte nochmals, wie er sich nach dem Absprung zu Verhalten habe. Ich drehte sich zu meinem Instruktor und sagte ihm, dass ich bestimmt nach dem Absprung nicht mehr wisse, was zu tun sei. Seine lockere und sichere Antwort, dass ich mir keine Sorgen machen solle, beruhigte mich ein wenig. Auf dem Höhenmessgerät meines Instruktor konnte ich sehen, dass wir bereits auf 3200 m Höhe waren. Der Pilot gab bekannt, dass der Ausstieg auf 3700m erfolgen soll.
Die vier Italiener, die einzeln das Flugzeug verlassen wollten, machten sich bereit.
„Ancora due minuti“, rief der Pilot nach hinten. Jeder gab noch jedem die Hand und dann öffnete sich die seitliche Tür. Ich spürte wie mein Puls intensiver schlug und mir immer wärmer wurde. Dann sprangen die vier Italiener aus dem Flugzeug. Mein Klassenkamerad, zusammen mit seinem Instruktor vis-à-vis von mir war der nächste. Ich konnte schauen, wie sein Instruktor ihn aus dem Flugzeug drücke. Es sah sehr speziell aus, da der Instruktor am Rand sass und mein Kollege bereits ausserhalb des Fliegers baumelte. Dann sprangen auch sie.
Nun wurde mir immer mulmiger. Während mein zweiter Klassenkamerad und sein Instruktor aus dem Flugzeug sprangen, überlegte ich mir, ob ich abbrechen sollte. Aber es war zu spät. Dann ging alles  sehr schnell!
Ich war bereits über der Kannte und schaute nach unten auf den Lago Maggiore. Aus einer für mich in jenem Moment undefinierbaren Höhe wusste ich nicht mehr, wie mir geschah. Der Instruktor sprang ab und wir drehten uns. Ich beschloss einmal laut zu schreien, damit ich das Atmen nicht vergass. Nach einigen Sekunden im freien Fall gegen die Erde bemerkte ich, dass mein Instruktor meine verkrampften Hände vom Schultergurt löste und mein Beine nach oben drückte. Dann erinnerte ich mich, dass bei der Instruktion am Anfang gesagt wurde, ich solle auf den Horizont schauen und nicht nach unten. Naja, ist irgendwie noch schwierig, wenn man mit ungefähr 200 km pro Stunde auf den Boden zu rast.
Ich bekomme sogar jetzt, wie ich das Schreibe, etwas Herzklopfen.
Trotzdem konnte ich den freien Fall irgendwie geniessen und allmählich begann die Sache etwas Spass zu machen. Dann bemerkte ich wie sich der Fallschirm öffnete. Es riss mich richtiggehend in die Gurten. Das Gefühl das folgte, war, wie wenn ich jetzt in der Luft stehen bleiben würde.
Ich atmete einmal tief ein und genoss die Aussicht. Bei dieser „Gleitgeschwindigkeit“ konnten wir uns auch wieder gut Unterhalten. Der Instruktor zeigte mir auf ca. 1300 m, wo wir landen sollten und erklärte mir auch die Sicht auf all die Veranstaltungen, die an diesem Wochenende in Locarno  stattfanden. Nebst dem Filmfestival, fand auch ein Kultur-Fress-Festival statt, das inmitten eines Kreisels zu sehen war.
Dann gab er mir die Lenkleinen in die Hand. Mir war es gar nicht wohl dabei und ich gab die Kontrolle schnell wieder ab. Unter mir konnte ich sehen, wie sich meine Kollegen spiralförmig ziemlich schnell in Richtung Boden drehten. Ich gab meinem Instruktor sofort zu verstehen, dass dies nichts für meinen Magen sei und es besser wäre, gemütlich zum Boden zu gleiten, was er so auch machte.
Nach etwa einer viertel Stunde im Flugzeug, 50 Sekunden freien Fall und knapp sieben Minuten Gleitphase landeten wir wieder sicher auf Tessiner Boden. Ein neues Kapitel war nach diesem Abenteuer geschrieben. Meine Klassenkameraden erwarteten mich bereits wieder beim ParaCentro und gratulierten mir. Etwas muss noch speziell Erwähnt werden: unser Klassenchef-Stellvertreter, der ziemlich an Farbe verloren hatte und sich aus dem Kombi befreite. Er ist eigentlich nur kurz vor mir aus dem Flugzeug gesprungen, war aber durch das schnelle, spiralförmige Sinken viel schneller wieder am Boden angekommen als ich, was ihm aber nicht besonders gut gekommen war…
 Nachdem wir unsere Diplome erhalten hatten, fuhren wir zurück zur Jugendherberge, um uns zu duschen. In der Grotto Broggini hatte unser Klassenchef einen Platz reserviert. Mit köstlichen Hühnchen vom Grill schlugen wir uns die Bäuche voll und diskutierten über den Sprung.
Den Abend liessen wir im Zentrum von Locarno bei einem Bier ausklingen.

Am Sonntagmorgen nach dem Frühstück fuhren wir wieder zurück nach St. Gallen, wo unser Klassen-Chef für uns noch einen Apéro servierte.
An dieser Stelle möchte ich mich bei unserem Klassen-Chef für das Organisieren dieses Wochenendes bedanken! Das Action-Weekend war so richtig gelungen und lässt mit Spannung eine Fortsetzung erwarten…:-)

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